I.
Die Beschwerdeführerin möchte mit ihrer Beschwerde die Rückabwicklung ihres Versicherungsvertrages erreichen und beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum “ewigen“ Widerspruchsrecht nach § 5a Versicherungsvertragsgesetz in der bei Abschluss geltenden Fassung (VVG a.F.). Sie trägt vor, der Versicherer habe sie bei Abschluss im Jahr 2000 nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt. Der Versicherer lehnt das ab.
Der Versicherungsvertrag wurde nach dem sogenannten Policenmodell geschlossen. Hierbei erhielt der Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation vollständig erst nach Antragstellung zusammen mit dem Versicherungsschein. Für dieses Vertragsabschlussmodell regelte § 5a VVG a.F. ein Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers. Über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer musste bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form belehrt werden. § 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F. regelte zwar, dass das Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. In seinem Urteil vom 7. Mai 2014 zum Aktenzeichen IV ZR 76/11 entschied der BGH, dass diese Regelung richtlinienkonform einschränkend auszulegen und danach im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung nicht anwendbar ist. Folglich besteht das Widerspruchsrecht eines Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist, im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung grundsätzlich fort.
Der Versicherungsschein vom 2. Oktober 2000 enthielt nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin, den sie mit einem Musterversicherungsschein eines Bekannten belegt hatte, gleich zu Beginn der ersten Seite folgende Widerspruchsbelehrung:
„Die XXX AG gewährt aufgrund des schriftlichen Antrags des Versicherungsnehmers – sofern Sie als Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins schriftlich widersprechen (vgl. Widerspruchsrecht innerhalb der Allgemeinen Informationen) – gemäß den anwendbaren Versicherungsbedingungen und Tarifbestimmungen folgenden Versicherungsschutz:…“
Die Belehrung auf Seite 1 des Versicherungsscheins ist drucktechnisch nicht hervorgehoben und inhaltlich schon deshalb unvollständig, weil sie den Beginn der Widerspruchsfrist nur vom Erhalt des Versicherungsscheins abhängig macht, ohne die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen zu nennen.
Mit dem Versicherungsschein erhielt die Beschwerdeführerin eine Verbraucherinformation. Darin waren im ersten Abschnitt folgende Ausführungen zum Widerspruchsrecht abgedruckt:
„Widerspruchsrecht
Sie haben das Recht, dem Abschluss dieses Versicherungsvertrages innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen, der Tarifbestimmungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen schriftlich zu widersprechen. Anderenfalls gilt der Vertrag auf der Grundlage dieser Unterlagen als abgeschlossen. Die Frist beginnt mit deren vollständiger Überlassung. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. Das Recht zum Widerspruch erlischt spätestens ein Jahr nach Zahlung des ersten Beitrags.“
Inhaltlich kann ich die Belehrung nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung nicht beanstanden. Hinsichtlich der Form, in der der Widerspruch zu erklären war, galt für Verträge, die bis zum 31. Juli 2001 abgeschlossen wurden, die Schriftform. Die Textform galt erst für Verträge, die ab dem 1. August 2001 abgeschlossen wurden. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Urteile des Oberlandesgerichts (OLG) Köln, die einen fehlenden Hinweis auf die Textform beanstandeten, betrafen Verträge, die im Jahr 2003 abgeschlossen worden waren.
In formaler Hinsicht muss die Belehrung gesondert präsentiert oder drucktechnisch so stark hervorgehoben sein, dass sichergestellt ist, dass der Versicherungsnehmer die Belehrung zur Kenntnis nimmt, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht (BGH, Urteil vom 28. Januar 2004, IV ZR 58/03; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015, IV ZR 388/13).
Es fragt sich, ob die maßgebliche Belehrung in den „Allgemeinen Informationen“ diesen formellen Anforderungen an eine Belehrung genügt, weil nur die Überschrift „Widerspruchsrecht“ und der erste Satz der Belehrung durch Fettdruck hervorgehoben sind. Die folgenden Sätze 2 bis 4 sind nicht fettgedruckt, enthalten aber notwendige Informationen über die Widerspruchsfrist und dazu, dass die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt.
Der BGH hat sich wiederholt mit der nur teilweisen Hervorhebung des Belehrungstextes befasst. In seinen Urteilen vom 14. Oktober 2015 (IV ZR 284/12 und IV ZR 341/12), 11. November 2015 (IV ZR 412/14) und 7. September 2016 (IV ZR 174/14) entschied er, dass eine Belehrung nicht ausreicht, bei der nur der erste Satz mit dem Hinweis auf das Widerspruchsrecht und die für den Beginn der Widerspruchsfrist maßgeblichen Unterlagen fettgedruckt ist. Es bestehe im besonderen Maße die Gefahr, dass sie überlesen werden, weil der Versicherungsnehmer sein Augenmerk nur auf das Fettgedruckte richtet. Die Entscheidungen betreffen eine gleich gestaltete Widerspruchsbelehrung wie im vorliegenden Vertrag.
Der Versicherer teilt die Ansicht des BGH nicht und verweist auf eine Vielzahl von land- und oberlandesgerichtlichen Entscheidungen, die die nur teilweise fettgedruckte Belehrung genügen lassen.
So führte das OLG Koblenz in einem Hinweisbeschluss vom 23. Februar 2023 (10 U 1570/22) aus: „Die in den Allgemeinen Informationen enthaltene Widerspruchsbelehrung genügte den an sie zu stellenden Anforderungen. […] Diesem Ergebnis steht auch die von der Klägerin angeführte Entscheidung des BGH vom 07.09.2016 (Az.: IV ZR 174/14, BeckRS 2016, 16642, dort Rn. 12) nicht entgegen. Insoweit berücksichtigt der Senat, dass der BGH eine Entscheidung des OLG Köln (Urteil vom 11.04.2014 – 20 U 70/13, BeckRS 2015, 20361) bestätigt hat, nach der die formellen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung nicht erfüllt sind, wenn nur der erste Satz der Belehrung in Fettdruck gehalten ist. Dieser Auffassung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen. Er hält insbesondere die Annahme für wenig wahrscheinlich, dass ein verständiger Versicherungsnehmer sein Augenmerk nur auf den fettgedruckten Teil der Belehrung richten wird. Die Widerspruchsbelehrung besteht insgesamt lediglich aus einem Absatz und vier Sätzen. Die Belehrung bildet eine textliche Einheit. Der durch Fettdruck hervorgehobene Teil geht nahtlos in die weitere Belehrung über. Es erscheint dem Senat daher nicht nachvollziehbar, weshalb ein Versicherungsnehmer angesichts der Kürze des Textes bereits nach dem ersten Satz aufhören sollte zu lesen, und dies erst recht nicht, wenn er sich für das Widerspruchsrecht und die Voraussetzungen für dessen Ausübung interessiert.“
Das OLG Hamm urteilte am 25. November 2022 (1-20 U 288/22): „Es ist auch bei nur ganz flüchtiger Draufsicht für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, dass sich der gesamte – zusammenhängende und einheitliche – Text, welcher sich an die Überschrift „Widerspruchsrecht“ anschließt, zu eben diesem Widerspruchsrecht verhält, bis die nächste grau unterlegte Überschrift den folgenden inhaltlichen Punkt einleitet. Auch wenn die zweite Hälfte nicht fett gedruckt ist, bildet sie doch mit dem fett gedruckten Teil durch die Einfassung in Überschriften auch optisch eine untrennbare und damit insgesamt hervorgehobene Einheit. Der Umstand, dass der BGH bei einer nur teilweise fett gedruckten Belehrung in der Vergangenheit mehrfach die tatrichterliche Würdigung gebilligt hat, wonach diese insgesamt nicht ausreichend hervorgehoben worden sei (BGH, Urteil vom 11.11.2015 – IV ZR 412/14, juris; BGH, Urteil vom 07.09.2016 – IV ZR 174/14, juris), steht der anderslautenden tatrichterlichen Bewertung durch den erkennenden Senat nicht entgegen. Der Umstand, dass der BGH die entsprechenden Feststellungen der dortigen Instanzgerichte übernommen, also als Revisionsgericht nicht beanstandet hat, bedeutet nicht, dass eine entsprechende tatrichterliche Würdigung nach der Rechtsprechung des BGH geboten wäre (für eine ausreichende Hervorhebung auch bei nur teilweisem Fettdruck ausdrücklich etwa OLG Dresden, Beschluss vom 29.04.2020, 4 U 212/20, BeckRS 2020, 15025). Der BGH hat mittlerweile mehrfach klargestellt, dass diese Würdigung Sache der Tatgerichte ist (siehe etwa Beschluss vom 21.03.2018 – IV ZR 201/16, VersR 2018, 862, Rn. 9).“
Ähnlich haben die Landgerichte Koblenz, Verden, Wuppertal, Ansbach, Bonn und Kempten entschieden, außerdem die Oberlandesgerichte München, Dresden, Frankfurt am Main, Celle und Bamberg. Der Versicherer berichtet weiter von vergleichbaren Entscheidungen der Oberlandesgerichte Braunschweig, Nürnberg und Zweibrücken.
Diese jüngere Entwicklung in der Rechtsprechung kann ich nicht ignorieren. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob eine Widerspruchsbelehrung inhaltlich und formal den gesetzlichen Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. genügt. Eine höchstrichterliche Klärung, ob einzelne Belehrungen formal und inhaltlich ordnungsgemäß sind, ist nicht geboten (BGH, Beschluss vom 21. März 2018, IV ZR 201/16).
Es ist nicht sicher einzuschätzen, ob der BGH angesichts der inzwischen zahlreichen Gerichtsentscheidungen, die eine andere Rechtsauffassung widerspiegeln, an seinem Standpunkt festhalten würde, der in seinen früheren Entscheidungen zum Ausdruck kommt. Die Beschwerde betrifft bei der gegenwärtigen Lage der Rechtsprechung zur nur teilweise drucktechnisch hervorgehobenen Belehrung eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, deren rechtssichere und tragfähige Klärung ich der weiteren Entwicklung der Spruchpraxis der staatlichen Gerichte und insbesondere des BGH überlassen muss.
Ob die hier erfolgte Belehrung, in der nur der erste Satz fettgedruckt ist, ordnungsgemäß ist oder nicht, muss ich daher im vereinfachten Schlichtungsverfahren offenlassen (gemäß § 9 Absatz 1 Buchstabe c) meiner Verfahrensordnung – VomVO, nachzulesen auf meiner Website unter www.versicherungsombudsmann.de).
Die Gerichte befassen sich seit längerem mit verschiedenen Aspekten des Widerspruchsrechts von Versicherungsnehmern. Noch immer sind nicht alle Fragen geklärt (z. B. ob das Policenmodell als solches gegen Europarecht verstößt). Deshalb ist zu diesem Thema mit weiteren Gerichtsentscheidungen zu rechnen. Meine Bewertung kann aber naturgemäß nur nach der Rechtslage erfolgen, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung gilt. Diese lässt es aus den genannten Gründen nicht zu, den Versicherer zur Rückabwicklung des Vertrages zu verpflichten.