I.
Für die Beschwerdeführerin besteht ein Privathaftpflichtversicherungsvertrag bei der Beschwerdegegnerin auf der Grundlage der AVB PHV – Fassung 01.09.2015 (Allgemeine Versicherungs-Bedingungen für die Privat-Haftpflichtversicherung zum Premiumschutz). Ihre Kinder sind mitversichert.
Am 7. Oktober 2018 ging der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin mit der gemeinsamen Tochter spazieren. Die Tochter fuhr mit ihrem Fahrrad ca. 1,5 m vor ihrem Vater, als sie nach einem Anstoß gegen einen Laternenpfahl das Gleichgewicht verlor und mit dem Fahrrad gegen das hinter dem Laternenpfahl geparkte Auto eines Nachbarn stieß. Zwar konnte der Vater einen Sturz, nicht jedoch die Kollision verhindern. Durch den Zusammenstoß wurde der Lack des Autos im Bereich des Schwellers auf der Beifahrerseite beschädigt.
Die Beschwerdeführerin meldete den Schaden der Beschwerdegegnerin und berief sich zur Wahrung des nachbarschaftlichen Friedens auf die Klausel A1-6.24 AVB PHV – Fassung 01.09.2015. Diese lautet:
„A1-6.24.1
Der Versicherer wird sich auf eine Deliktsunfähigkeit von im Rahmen dieses Vertrags mitversicherten Kindern nicht berufen, wenn der Versicherungsnehmer es wünscht.
Eine Leistung erfolgt … auch ohne Vorliegen einer gesetzlichen Haftung. Diese Leistung wird ausschließlich im Interesse des Versicherungsnehmers gewährt. Der Ge-schädigte kann aus diesem Vertrag keine Rechte herleiten.
…
A1-6.24.2
Der Verzicht auf den Einwand der Deliktsunfähigkeit gilt nicht,
– wenn und soweit der Geschädigte in der Lage ist, Ersatz seines Schadens von einem anderen Versicherer oder von einem Sozialversicherungsträger oder von einem anderen Leistungsträger (z.B. Dienstherr) zu erlangen;
– wenn der Geschädigte selbst aufsichtspflichtig war oder von einem anderen aufsichtspflichtigen Dritten Schadenersatz erlangen kann.“
Die Beschwerdegegnerin bestätigte Versicherungsschutz in Form der Anspruchsabwehr, lehnte es aber ab, auf den Einwand der Deliktsunfähigkeit zu verzichten. Sie bewertete es als maßgeblich, dass der Vater aufsichtspflichtig gewesen sei. Dieser könne sich als nicht mitversicherte Person nicht auf die vereinbarte Haftungserweiterung berufen. Der Privathaftpflichtversicherer des Vaters lehnte nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beschwerdeführerin eine Schadensregulierung ab.
Mit der Beschwerde möchte die Beschwerdeführerin die Schadenregulierung erreichen. Die Beschwerdegegnerin hat im Rahmen des Ombudsmannverfahrens eingewandt, dass Sinn und Zweck der Deckungserweiterung das Regulierungsinteresse der Versicherungsnehmerin sei. Der Vorteil bestehe darin, dass der Schaden durch ein deliktsunfähiges Kind unter Zurückstellung jeglicher Haftungsprüfung beglichen werde. Davon könne aber nur der versicherte Personenkreis in der Funktion als aufsichtspflichtige Person Gebrauch machen. Andernfalls wäre zum Beispiel auch ein während der Kindergartenzeit von einem durch Erzieher betreuten Kleinkind verursachter Schaden erfasst. Eine derartige Freistellung eines Dritten von seiner Verantwortung ergebe sich aus dem Bedingungstext nicht.
II.
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die Beschwerdegegnerin ist nicht berechtigt, den gewünschten Einwandsverzicht gemäß A1-6.24 AVB PHV – Fassung 01.09.2015 mit dem Verweis auf die Aufsichtspflicht des nicht mitversicherten Vaters abzulehnen.
(1) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (etwa Entscheidung vom 12. September 2017, Az.: IV ZR 302/16) so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.
Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Klausel kommt es darauf an, dass von einem anderen aufsichtspflichtigen Dritten Schadenersatz erlangt werden kann. Es heißt darin also gerade nicht (wie in Bezug auf den Geschädigten selbst), dass der Verzicht auf den Einwand der Deliktsunfähigkeit nicht gilt, wenn ein Dritter aufsichtspflichtig war. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird aus dieser unterschiedlichen Formulierung und der Verwendung des Verbs „erlangen“ ableiten, dass zumindest eine Schadenersatzverpflichtung des Dritten, wenn nicht sogar eine tatsächliche Schadenbegleichung durch den Dritten, entscheidend ist.
Der Haftpflichtversicherer des Vaters hat eine Schadenregulierung abgelehnt. Anhaltspunkte für eine zum Schadenersatz verpflichtende Aufsichtspflichtverletzung des Vaters sind den Unterlagen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die fünfjährige Tochter ist 1,5 Meter vor ihrem Vater gefahren. Man muss ein Kind dieses Alters nicht in der Form überwachen, dass jederzeit die Verhinderung eines Schadens möglich ist. Vor diesem Hintergrund greift auch nicht das Argument des Versicherers, dass ein nicht versicherter Dritter von seiner Verantwortung freigestellt werden würde.
Wenn der Versicherer gewollt hätte, dass der Einwandsverzicht an die Aufsichtspflicht einer mitversicherten Person gebunden ist, dann hätte er das ohne weiteres so zum Ausdruck bringen können. In der Klausel wird aber nur auf die Deliktsunfähigkeit des mitversicherten Kindes und dem Regulierungswunsch des Versicherungsnehmers abgestellt.
In der vorliegenden Konstellation ist dieses Regulierungsinteresse der Beschwerdeführerin als Versicherungsnehmerin betroffen. Ihr Kind hat den Schaden verursacht, weshalb sie sich gegenüber dem Nachbarn aus nachvollziehbaren Gründen verpflichtet fühlt. Dass der aufsichtspflichtige Vater aus den gleichen Gründen ein Interesse an der Schadenregulierung hat, ist zwar bei lebensnaher Betrachtung anzunehmen, ändert aber nichts daran, dass Sinn und Zweck der Deckungserweiterung betroffen sind. Ein um das Verständnis der Bedingungen bemühter durchschnittlicher Versicherungsnehmer muss bei der Auslegung auch nicht überprüfen, ob alle anderen Situationen, die dem Wortlaut nach von der Klausel erfasst sind, in gleichem Maße von einem besonderen Regulierungsinteresse des Versicherungsnehmers erfasst sind.
(2) Die Beschwerdeführerin hat nach Aktenlage keinen Anspruch auf eine bestimmte Schadenregulierung gegenüber dem geschädigten Nachbarn.
Es ist Aufgabe des Haftpflichtversicherers zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Versicherte nach rechtlichen Gesichtspunkten zum Schadenersatz verpflichtet ist. Je nach Ergebnis hat er grundsätzlich zwei Möglichkeiten, seine Leistungspflicht zu erfüllen: Zum einen kann er den geltend gemachten Anspruch gegenüber dem Anspruchsteller vollständig oder teilweise abwehren. Zum anderen kann er die Ansprüche anerkennen und befriedigen. Welche der beiden Möglichkeiten der Versicherer wählt, bleibt ihm im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens überlassen. Der Versicherungsnehmer kann nicht auf eine Leistungsart bestehen, wobei dieser Grundsatz durch die Klausel A1-6.24 AVB PHV – Fassung 01.09.2015 eingeschränkt wird. Die Beschwerdeführerin kann, wie oben ausgeführt, trotz Aufsichtspflicht des nicht mitversicherten Vaters von der Beschwerdegegnerin verlangen, auf den Einwand der Deliktsunfähigkeit zu verzichten.
Vorliegend ist noch nicht geklärt, ob und inwieweit der Nachbar in der Lage ist, Ersatz seines Schadens von einem anderen Versicherer zu erlangen und deshalb der Verzicht auf den Einwand der Deliktsunfähigkeit aus dem anderen in A1-6.24.2 AVB PHV – Fassung 01.09.2015 genannten Grund nicht greift. Gegebenenfalls kann eine Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen werden. Aus der Beschwerdebearbeitung ist bekannt, dass andere Versicherer ähnliche Bedingungen verwenden, jedoch die Formulierung „wenn und soweit der Geschädigte in der Lage ist, Ersatz seines Schadens von einem anderen Versicherer … zu erlangen“ nicht einheitlich auslegen. Vorsorglich wird deshalb darauf hingewiesen, dass die Formulierung „wenn und soweit“ nicht nur auf die Möglichkeit abzielt, einen Schaden zum Beispiel über einen Sachversicherer regulieren zu lassen, sondern auch auf den Umfang der auf diesem Weg erreichbaren Entschädigung. Dies dürfte für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer eindeutig sein und wird seinem Regulierungsinteresse gerecht, dessen Berücksichtigung der Versicherer ausdrücklich zugesagt hat. Zieht der Vollkaskoversicherer etwa einen vereinbarten Selbstbehalt von seiner Leistung ab, dann bleibt die Beschwerdegegnerin deshalb „insoweit“ an ihren Einwandsverzicht gebunden. Gleiches gilt auch im Hinblick auf regelmäßig nicht über die Vollkaskoversicherung gedeckte reparaturbedingt angefallene Mietwagenkosten oder eine Wertminderung.
Auch zur Schadenhöhe ist bisher nichts Konkretes bekannt.
Es ist nun an der Beschwerdegegnerin, die Schadenprüfung wieder aufzunehmen.