Die unfallversicherte Beschwerdeführerin stürzte im September 2022 mit ihrem Fahrrad und verspürte sofort starke Schmerzen in ihrer linken Schulter. Diagnostiziert wurden in der Fol-gezeit u. a. eine entzündliche Erkrankung der langen Bizepssehne sowie eine Teilruptur der Supraspinatussehne der linken Schulter. Nach Abschluss der medizinischen Behandlung be-klagte die Beschwerdeführerin konstante Belastungsschmerzen beim Tragen von Gegen-ständen und damit eine Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit. In dem von der Beschwerde-gegnerin beauftragten Gutachten vom Oktober 2023 kam der Sachverständige zu dem Er-gebnis, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung die Invalidität nach Gliedertaxe mit einem Armwert von 1/10 zu bemessen sei. Es sei mit einer Besserung zu rechnen, so dass zum Ab-schluss des dritten Unfalljahres die Invalidität nach Gliedertaxe mit 1/20 Armwert zu bemes-sen sei.
Die Beschwerdegegnerin rechnete daraufhin die Invaliditätsleistung auf der Grundlage von 1/20 Armwert ab und erklärte gleichzeitig, ihr Recht auf eine Neubemessung gemäß Ziffer 9.4 der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2005) nicht wahrzunehmen. Gegen diese Bemessung der Invaliditätsleistung wandte sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde beim Versicherungsombudsmann e. V.
II.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
Ziffer 2.1.1.1 AUB 2005 setzt für einen Anspruch auf eine Kapitalleistung wegen Invalidität voraus, dass die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wurde. Diese Voraussetzungen hat die Beschwer-deführerin durch das Gutachten des Sachverständigen nachgewiesen. Es belegt zum Zeit-punkt der Begutachtung eine Invalidität von 1/10 Armwert. Dass künftig mit einer Besserung des Gesundheitszustandes zu rechnen sei, spielt aus den nachfolgenden Gründen für die Erstbemessung keine Rolle.
Sowohl das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) als auch die AUB 2005 unterscheiden zwi-schen Erst- und Neubemessung. Da, wie vorliegend, weder die Beschwerdegegnerin noch die Beschwerdeführerin ihr vertragliches Recht auf eine zeitlich beschränkte jährliche Neu-bemessung des Invaliditätsgrades wahrgenommen haben, war zu klären, ob die Beurteilung des Invaliditätsgrades zum Zeitpunkt der sachverständigen Erstbemessung maßgeblich ist oder ob Veränderungen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden konnten, von der Beschwerdegegnerin bei der Bemessung ihrer Invaliditätsleistung berück-sichtigt werden durften.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 2009 (Rn. 33) – IV ZR 181/07 – (VersR 2010, 243) ausgeführt, dass es für die Erstbemessung allein auf den Gesundheitszu-stand ankommt, wie er sich zum Zeitpunkt der Begutachtung dargestellt hat. Auf die Fristen zur Neubemessung (Ziffer 9.4 AUB 2005) kommt es bei der Bewertung des Invaliditätsgrades nur dann an, wenn fristgerecht eine Partei die Neubemessung verlangt (BGH, Urteil vom 18. November 2015 – IV ZR 124/15 mit Verweis auf BGH, VersR 2010, 243).
Die aus bereits vorliegenden als auch aus eigenen Befunden gewonnenen Erkenntnisse führ-ten am Tag der Begutachtung nach Auffassung des Sachverständigen zu einer dauerhaften Beeinträchtigung von 1/10 Armwert. Dafür, dass es sich bei dieser Beurteilung lediglich um ein Zwischenergebnis handeln würde, der Armwert von 1/10 also nicht den Grad der festge-stellten Invalidität abbilde, ergaben sich aus dem Gutachten keine Anhaltspunkte. Benutzt ein medizinischer Sachverständiger den Begriff der Invalidität und verweist gleichzeitig auf die Gliedertaxe, lässt dies keine andere Auslegung zu, als dass zum Zeitpunkt der Begutachtung eine dauerhafte Beeinträchtigung im Umfang von 1/10 Armwert vorlag. Gegen die Auffas-sung der Beschwerdegegnerin, die tatsächliche Bemessung der Invalidität habe der Sachver-ständige mit 1/20 Armwert festgelegt, spricht neben der zitierten Rechtsprechung des BGH auch die Formulierung, die der Sachverständige verwendet hat. Wenn er mitteilt, es sei damit zu rechnen, dass sich eine Besserung einstellt, bringt der Sachverständige dadurch eine auf die Zukunft gerichtete Prognose zum Ausdruck, am Ende des dritten Unfalljahres werde eine Invalidität von 1/20 Armwert verbleiben. Auf diesen Zeitpunkt kommt es jedoch für die Be-messung des Invaliditätsgrades wie ausgeführt nicht an.