I.
Bei einem Einbruchdiebstahl wurden der Beschwerdeführerin vier Taschen der Marke Hermès entwendet. Die Beschwerdegegnerin beauftragte einen Sachverständigen mit der Ermittlung der Schadenhöhe. Dieser setzte sich telefonisch mit dem Hersteller der Taschen in Verbindung und erfragte die Neupreise zum Schadentag. Dabei handelt es sich um die derzeitigen sog. Listenpreise des Herstellers, wobei für die Taschen bei Bestellung eine lange Wartezeit besteht. Bei Lieferung sei nicht der derzeitige, sondern der dann gültige Kaufpreis zu entrichten. Die vom Hersteller genannte Summe in Höhe von insgesamt 32.800 Euro zahlte die Beschwerdegegnerin an die Beschwerdeführerin aus. Die vom Sachverständigen geschätzte Preiserhöhung bis zur Lieferung in Höhe von 10 Prozent berücksichtigte die Beschwerdegegnerin nicht.
Während der Sachverständige aufgrund der Angaben des Herstellers von Lieferzeiten von ca. einem Jahr ausgeht, trägt die Beschwerdeführerin vor, diese betrügen fünf bis zehn Jahre. Bei einer Tasche habe es sich zudem um ein stark limitiertes Sondermodell gehandelt, welches gar nicht mehr lieferbar sei. Für den zu leistenden Wiederbeschaffungswert der Taschen komme es nicht auf den Listenpreis des Herstellers an, sondern es seien die am Schadentag geltenden Preise aus der Perspektive der Beschwerdeführerin und ihre Bezugsmöglichkeiten maßgeblich. Ein jahrelanges Zuwarten sei der Beschwerdeführerin nicht zumutbar. Die Beschwerdegegnerin sei demnach verpflichtet, den aktuellen Marktwert der Taschen zu ersetzen, welcher den Preisen entspreche, die auf dem Sekundärmarkt erzielt würden. Die entsprechende Summe betrage 103.011,72 Euro, so dass noch ein Anspruch in Höhe von 70.211,72 Euro für die Taschen nebst 4 Prozent Zinsen seit dem Tag der Schadensmeldung bestehe. Der von der Beschwerdegegnerin beauftragte Sachverständige schätzte die Wiederbeschaffungspreise im Sekundärhandel auf 68.000 Euro, allerdings ohne diese Schätzung mittels Belegen zu unterfüttern.
Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, Lieferverzögerungen und daraus resultierende Marktpreise, die über dem Listenpreis der Hersteller liegen, seien nicht Teil des maßgeblichen Versicherungswerts. Dieser und damit auch die Entschädigungshöhe richte sich nach den Preisangaben des Herstellers. Dies gelte insbesondere auch, weil sie lediglich eine Entschädigung in Geld schulde.
II.
Nach § 23 Abs. 1 a) der vereinbarten VHB 2012 wird im Versicherungsfall bei abhanden gekommenen Hausratsachen der Versicherungswert zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls ersetzt. Der Versicherungswert bestimmt sich gemäß Abschnitt § 23 Abs. 2 der Bedingungen nach dem Wiederbeschaffungspreis von Sachen gleicher Art und Güte in neuwertigem Zustand (Neuwert).
Entscheidend ist somit der Einkaufspreis des privaten Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls (Prölss/Martin-Klimke, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, 31. Auflage, VHB 2010 A. § 9, Rn. 3; Beckmann/Matusche-Beckmann-Rüffer, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage, § 32, Rn. 210). Maßgebend sind dabei die Kosten, die bei unverzüglich eingeleiteter Wiederbeschaffung anfallen würden (Prölss/Martin-Armbrüster, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 31. Auflage, § 88, Rn. 29; Anton Martin, Kommentar für Sachversicherungsrecht, 3. Auflage, Kapitel Q I, Rn. 58). Bei der Wiederbeschaffung ist auf die preisgünstigste Art und Weise abzustellen, soweit diese dem Versicherungsnehmer zumutbar ist (Schwintowski/Brömmelmeyer-Hammel, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage, Anhang 1 zu §§ 88 bis 99, Rn. 7; Anton Martin, Kommentar für Sachversicherungsrecht, 3. Auflage, Kapitel Q IV, Rn. 108; Bruck/Möller-Schnepp, Kommentar zum Versicherungsrecht, 9. Auflage, § 88 VVG, Rn. 17 m. w. N.). Zumutbar ist die Art und Weise dann, wenn er sie auch ohne Versicherungsschutz gewählt hätte (Schwintowski/Brömmelmeyer-Hammel, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage, Anhang 1 zu §§ 88 bis 99, Rn. 7; van Bühren/Höra, Handbuch Versicherungsrecht, 5. Auflage, § 3, Rn. 234).
Unstreitig ist, dass die Beschwerdeführerin die Taschen nicht unmittelbar erwerben könnte, sondern eine lange Wartezeit bestünde. Ob diese ein Jahr oder mehrere Jahre beträgt, steht nach Aktenlage nicht fest, da weder die Beschwerdeführerin noch der Sachverständige ihre Angaben belegt haben. Angesichts der selbst vom Sachverständigen angegebenen Preisunterschiede von über 35.000 Euro (32.800 Euro vs. 68.000 Euro), also einer Verdopplung des Wertes, spricht aber viel dafür, dass die Zeit nicht nur lediglich ein Jahr, sondern mehrere Jahre beträgt. Anderenfalls hätte ein Käufer nach derzeitigem Stand eine Renditeaussicht von über 100 Prozent innerhalb eines Jahres.
Der sog. Listenpreis dürfte somit für die Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes nicht maßgeblich sein, denn für diesen Preis erhält die Beschwerdeführerin die entwendeten Taschen auf absehbare Zeit nicht. Insofern dürfte diese Art der Wiederbeschaffung, falls man davon in diesem Fall überhaupt sprechen kann, für die Beschwerdeführerin nicht zumutbar sein. Selbst wenn man von einem Liebhaberwert ausgehen sollte, dürfte sich das hier nicht auswirken, weil es insoweit einen funktionierenden aktuellen Markt gibt (vgl. Grüneberg, in: Grüneberg, BGB-Kommentar, 82. Auflage, § 251, Rn. 10).
Diese Einschätzung wird durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Februar 2021 (Az. 306 O 330/19) bestätigt. Dieses dürfte, zumindest wenn man vorliegend von einer Lieferzeit von deutlich mehr als einem Jahr bis hin zu mehreren Jahren ausgeht, auf diesen Fall übertragbar sein, da der Sachverhalt im Übrigen vergleichbar erscheint.
Demnach spricht viel dafür, dass die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf den Betrag haben dürfte, der ihr zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls eine kurzfristige Wiederbeschaffung der Taschen in (möglichst) neuwertigem Zustand ermöglicht hätte. Allerdings handelt es sich dabei um eine grundsätzliche Rechtsfrage, zu der mir außer dem Urteil des Landgerichts Hamburg keine Rechtsprechung bekannt ist. Insofern erscheint nicht ausgeschlossen, dass sich ein Gericht der Meinung der Beschwerdegegnerin anschließen könnte. Dieses verbleibende Prozessrisiko ist im Rahmen der Schlichtung angemessen zu berücksichtigen.
Darüber hinaus könnte sich die Rechtslage anders darstellen, wenn die Lieferzeit der Taschen doch nur ca. ein Jahr betragen würde. Insofern erschiene es der Beschwerdeführerin möglicherweise zumutbar, zumindest hinsichtlich einiger der Taschen eine solche Zeitspanne abzuwarten. Zwar sind mir die Details der Nutzung der Taschen durch die Beschwerdeführerin nicht bekannt. Denkbar erscheint aber, dass sie nicht jede der Taschen ständig zu benutzen gedachte oder möglicherweise auch noch weitere Taschen als Alternativen in Besitz hat. Auch dies müsste ggf. berücksichtigt werden.
Des Weiteren lässt sich die genaue Höhe der Wiederbeschaffungswerte auf dem Sekundärmarkt nach den mir vorliegenden Unterlagen nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen, zumal die Wiederbeschaffungspreise laut dem Sachverständigen selbst bei einer Bestellung beim Hersteller noch nicht feststehen. Für die Bestimmung der genauen Wiederbeschaffungspreise wäre wohl die Einholung eines Gutachtens notwendig, welches mir in meinem vereinfachten Verfahren nicht möglich ist.
Um trotzdem eine Grundlage für meinen Schlichtungsvorschlag zu haben, ziehe ich die Angaben des von der Beschwerdegegnerin beauftragten Sachverständigen heran, auch wenn dieser seine Annahmen nicht belegt hat. Er geht dabei von einem Wiederbeschaffungswert der Taschen in Höhe von 68.000 Euro aus. Somit verbleibt eine Differenz von 35.200 Euro zuzüglich etwaiger Verzugszinsen. Angesichts des oben Gesagten gehe ich davon aus, dass die Lieferzeit ein Jahr deutlich übersteigt und das Prozessrisiko aufseiten der Beschwerdegegnerin somit überwiegt.
Vor diesem Hintergrund schlage ich eine Beilegung der Streitigkeit dahingehend vor, dass die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin noch einen weiteren Betrag in Höhe von 20.000 Euro erstattet. Ich hoffe, dass mein Schlichtungsvorschlag für beide Beteiligten eine akzeptable Lösung zur Beilegung des Streites darstellt. Mit diesem Vorschlag beende ich das Beschwerdeverfahren nach § 9 Abs. 2 meiner der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (VomVO).
Anmerkung:
Der Schlichtungsvorschlag wurde von beiden Beteiligten angenommen.