Am 30. Juni hat der Versicherungsombudsmann Professor Dr. Günter Hirsch seinen Jahresbericht 2008 vorgelegt. Die Gesamtzahl der eingegangenen Beschwerden ist gegenüber dem Vorjahr um 7,1 % gestiegen und hat mit 18.837 einen neuen Höchststand erreicht. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und nicht im Einzelnen zu benennen. So haben sicherlich die im Jahr 2007 hinzugekommenen Zuständigkeiten für Beschwerden gegen Versicherungsvermittler und von Kleingewerbetreibenden sowie die Erhöhung der Beschwerdeobergrenze auf 80.000 Euro Anteil an dem Zuwachs. Außerdem hat die grundlegende Reform des Versicherungsvertragsgesetzes zum 1.1.2008 Anlass für rechtliche Zweifel gegeben, die sich, wenn auch noch nicht gravierend, in den Beschwerdezahlen niedergeschlagen haben.
Erstmalig werden Beschwerden gegen Versicherungsunternehmen und gegen Versicherungsvermittler, entsprechend den unterschiedlichen Kompetenzen und verfahrensrechtlichen Vorgaben des Versicherungsombudsmanns, detailliert getrennt dargestellt. Die Zuständigkeit für Vermittlerbeschwerden beruht ja, so Professor Hirsch, nicht auf privatrechtlicher Grundlage, sondern wurde ihm in Umsetzung der EG-Vermittlerrichtlinie durch das Bundesministerium der Justiz, also durch einen Hoheitsakt übertragen. Allerdings werde nur ein Teil der Beschwerden, die formal gegen Versicherungsvermittler eingelegt werden, auch als Vermittlerverfahren durchgeführt. Wird insbesondere das Verhalten eines gebundenen Vermittlers gerügt, hierauf jedoch ein Anspruch gegen das Unternehmen gestützt, werde ein Verfahren gegen dieses eingeleitet. Insgesamt gingen 461 „reine“ Vermittlerbeschwerden beim Versicherungsombudsmann im Jahr 2008 ein. Hirsch wies darauf hin, dass nach seiner Meinung die Mitwirkung am Ombudsmannverfahren für die Vermittler Standespflicht sei, da dem Versicherungsnehmer nach § 214 VVG ein Anspruch eingeräumt worden ist auf ein Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Versicherungsvermittlern oder Versicherungsberatern und Versicherungsnehmern im Zusammenhang mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen.
Bei weitem die meisten Beschwerden betrafen Lebens- und Rentenversicherungen, nämlich 40,7 % der Unternehmensbeschwerden und 32,1 % der Vermittlerbeschwerden. Dies ist in erster Linie mit der Komplexität dieser „Produkte“ zu erklären, die in ihrer konkreten Ausgestaltung einem Laien nur schwer verständlich zu machen sind. So gab es insbesondere eine Fülle von Beschwerden zu den Fragen des Rückkaufswertes und der Beteiligung an den Überschüssen und stillen Reserven. Insoweit führte die Finanzmarktkrise ersichtlich zu Verunsicherungen der Versicherten über die Entwicklung des variablen Teils der Gesamtverzinsung des eingezahlten Kapitals. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist es kaum verständlich, wenn ihm etwa mitgeteilt wird, dass er seit dem 1.1.2008 kraft Gesetzes an den stillen Reserven des Unternehmens zu beteiligen ist, dass jedoch in seinem Fall auf Grund der Entwicklungen auf den Finanzmärkten „die saldierten Bewertungsreserven null Euro betragen“.
Die besondere Situation der Lebens- und Rentenversicherung schlug sich, wie bereits in den Vorjahren, auch in der Erfolgsstatistik nieder. Betrug die Erfolgsquote für sämtliche Sparten, mit Ausnahme der Lebens- und Rentenversicherung, 36,9 % der beendeten Verfahren (in 2007: 38,9 %), so führten Beschwerden zu Lebens- und Rentenversicherungen nur in 16,4 % zum Erfolg (in 2007: 13,8 %). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Aufgabe des Ombudsmanns bei Beschwerden im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung häufig in der Aufklärung und Beratung des Versicherten über bestimmte rechtliche und faktische Gegebenheiten der Versicherung besteht.
Einen Schwerpunkt legte Professor Hirsch auf die Problematik der Pflicht zur Beratung und Dokumentation nach dem neuen VVG. Nach seinen bisherigen Erfahrungen sei „die Dokumentation der Beratung im Zusammenhang mit einem Vertragsschluss ein ausgesprochener Schwachpunkt.“ Die Umsetzung der gesetzlichen Pflichten der Unternehmen und der Vermittler zur Beratung des Versicherungskunden und zur Dokumentation des Beratungsgesprächs bereite in der Praxis ersichtlich erhebliche Schwierigkeiten. Dies sei, so weit erkennbar, zum Teil auf mangelhafte Kenntnis der gesetzlichen Anforderungen zurückzuführen, zum Teil aber auch auf die Unkenntnis der u. U. gravierenden Folgen einer mangelhaften Dokumentation. Denn auch wenn die Dokumentation des Beratungsgesprächs keinen absoluten Beweiswert in dem Sinne habe, dass nichtprotokollierte Umstände unwiderleglich als nicht besprochen gelten, verändere eine mangelhafte Dokumentation die Beweislast zugunsten des Versicherungsnehmers. Es sei dann Sache des Vermittlers bzw. des Unternehmens, darzulegen und zu beweisen, dass über den beratungsbedürftigen Punkt gesprochen worden sei, auch wenn sich dies nicht im Protokoll niedergeschlagen hat. Gelinge dieser Beweis nicht, sei der Bestand des Versicherungsvertrags gefährdet. „Ein noch so gutes Protokollformblatt nützt nichts, wenn dem Vermittler beim Ausfüllen jedes Verständnis für den Sinn und Zweck der Protokollierung der Beratung fehlt“, so Hirsch. „Wenn ein Beratungsformular verwendet und unter ‚Kundenwunsch’ lediglich vermerkt wird ‚optimale Absicherung’, unter ‚Empfehlung’ ebenfalls nur ‚optimale Absicherung’ und unter ‚Abschluss’ nur vermerkt ist ‚wie gewünscht’, so ist dies völlig inhaltslos und kann gleich in den Papierkorb wandern.“
Der Versicherungsombudsmann wies außerdem darauf hin, dass seine Zuständigkeit für Vermittlerbeschwerden ein spezielles Problemfeld eröffnet habe, nämlich dann, wenn Versicherungsverträge am Bankschalter vermittelt würden. Es gäbe Beschwerden darüber, dass die Bewilligung eines Kredits vom Abschluss einer Versicherung, die nicht der Kreditsicherung diene, bei einem mit der Bank verbundenen Versicherungsunternehmen abhängig gemacht worden sei. Dieser Vorwurf werfe, so Hirsch, verschiedene Fragen auf. So sei zum einen zu klären, ob er oder die Bankenombudsmänner hierfür zuständig seien. Mit den Ombudsmännern der privaten Banken bestehe Einvernehmen, dass er für derartige Beschwerden zuständig sei, es sei denn es, werde gerügt, dass der Bankmitarbeiter mit der Vermittlung der Versicherung seine Pflichten im Hinblick auf das Bankgeschäft verletzt, also etwa das besondere Vertrauen, das ihm als Betreuer und Kenner der Vermögenssituation entgegengebracht worden sei, missbraucht habe. Lasse sich der Vorwurf einer derartigen sachwidrigen Koppelung beweisen, werfe dies wettbewerbsrechtliche Fragen auf und führe unter Umständen zur Sittenwidrigkeit des geschlossenen Versicherungsvertrags. Inzwischen habe sich auch die Europäische Kommission dieser Fragen des „tying and other potentially unfair practices in the financial sector“ angenommen.
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