Ausführliche Presseinformation des Versicherungsombudsmanns zum Jahresbericht 2019 vom 6. Mai 2020
Die Verbraucherschlichtungsstelle Versicherungsombudsmann e. V. hat am 6. Mai 2020 den Jahresbericht über die Arbeit des Vorjahres veröffentlicht. Auf 147 Seiten informieren Ombudsmann Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier und der Verein über Versicherungsangelegenheiten von Verbrauchern, die Entwicklungen in den Versicherungssparten, versicherungsrechtliche Themen, die Beschwerdestatistik und vieles mehr.
Im Grußwort bezeichnet Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Christine Lambrecht den Versicherungsombudsmann als eine Erfolgsgeschichte. Angesichts der vielen Vorteile, die das Verfahren biete, seien die vielen Verbraucherbeschwerden kein Wunder. Der Ombudsmann sei unabhängig und neutral, die Verfahren zumeist in kurzer Zeit abgeschlossen und jede Entscheidung werde allgemeinverständlich begründet.
Die Schlichtungsstelle erreichten 2019 insgesamt 13.006 zulässige Beschwerden und damit 8,1 % weniger als 2018. Schon im Vorjahr sank das Beschwerdeaufkommen um 5,1 %, allerdings nach fünf Jahren des Anstiegs in Folge. 2019 gab es mit 3.202 zulässigen Eingaben die meisten Beschwerden aus der Rechtsschutzversicherung, die damit zum dritten Mal in Folge der Lebensversicherung als der bis dahin zahlenstärksten Sparte (3.089 zulässige Beschwerden) den Rang abgelaufen hat. Spartenbezogen waren Rückgänge zum Teil im zweistelligen Bereich zu verzeichnen: So in der Gebäude- (-17,2%), der Rechtsschutz- (-15,1%), der Unfall- (-13,5 %) und in der Hausratversicherung (-19,4 %). Lediglich im Bereich der Kfz-Kaskoversicherung (+2,7%) und der „sonstigen Versicherungen“ (+ 3,3 %), darunter die Reiseversicherungen, Tierkranken- und Fahrradversicherung, nahm die Zahl der Beschwerden zu. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der zulässigen Beschwerden konnte auf dem niedrigen Wert von nur 2,6 Monaten gehalten werden.
Der Bericht 2019 enthält erstmals Angaben dazu, wie sich die Beschwerdewerte innerhalb der Sparten verteilen. So lagen in der Rechtsschutzversicherung 97,8 % der Beschwerdewerte in dem Bereich, in dem der Ombudsmann gegen Versicherer verbindlich entscheiden kann (bis zu 10 TEUR). In der Berufsunfähigkeitsversicherung ist dies dagegen nur bei jeder vierten Beschwerde der Fall (25,5 %). Auch Informationen über die Erfolgsquoten in den einzelnen Sparten finden sich nun im Bericht. Verbraucher waren bei Beschwerden gegen Versicherungsunternehmen in der Kfz-Kaskoversicherung zu 54,9 % ganz oder zum Teil erfolgreich, während dies in der Unfallversicherung nur zu 29,4 % der Fall war. Zu den Neuerungen in der Statistik gehören auch detaillierte Zahlen zu den als ungeeignet abgewiesenen Beschwerden. Nicht jede Eingabe eignet sich, um im vereinfachten Schlichtungsverfahren, das weder Zeugenvernehmung noch Sachverständigeneinschaltung vorsieht, entschieden zu werden. Auch Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung soll der Ombudsmann den Gerichten überlassen, zu deren Aufgabe die Rechtsfortbildung gehört. Allerdings können in solchen Fällen Vergleiche angeregt oder Schlichtungsvorschläge unterbreitet werden.
Dr. Schluckebier, seit 1. April 2019 im Amt, setzte sich gleich zu Beginn im Zuge eines Gesetzesänderungsvorhabens zur außergerichtlichen Streitbeilegung erfolgreich für die Unabhängigkeit von Verbraucherschlichtungsstellen ein. Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf zur Änderung des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes wäre es dagegen möglich gewesen,
dass die Anerkennungsbehörde für die Verbraucherschlichtungsstellen einzelne Beschwerdeverfahren überprüft. Gemeinsam mit den Verantwortlichen des Vereins sowie unter Beteiligung anderer Schlichtungsstellen gelang es, eine Korrektur des Gesetzesentwurfs anzuregen. Hierbei half sicher auch das klare Statement des Amtsvorgängers Prof. Dr. Günter Hirsch, der als Experte vom Rechtsausschuss des Bundestags angehört wurde.
Unter den Versicherungssparten ist es weiterhin die Rechtsschutzversicherung, deren Beschwerden viele schwierige Rechtsfragen aufwerfen. Einige davon gehen auf die Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH in dieser Sparte zurück. Wie mehrfach in früheren Berichten erwähnt, bestimmt dessen für das Versicherungsrecht zuständiger IV. Zivilsenat den Rechtsschutzfall in zeitlicher Hinsicht maßgeblich nach dem Vortrag des Versicherungsnehmers. Dies warf und wirft immer wieder neue Fragen auf. In das Berichtsjahr fielen zwei Urteile, die den Vertragsrechtsschutz betreffen. Darin wird klargestellt, dass auch bei der Anspruchsabwehr durch den in Anspruch genommenen rechtsschutzversicherten Versicherungsnehmer für die zeitliche Festlegung des Rechtsschutzfalls auf diejenige Rechtspflichtverletzung abzustellen ist, die der Versicherungsnehmer seinem Gegner anlastet. Auf die „Parteirolle“ bei der Rechtsverfolgung oder der Rechtsverteidigung komme es nicht an. Zu den offenen Folgefragen gehört, ob diese Auffassung auch auf die Auslegung von Risikoausschlussklauseln, Vorsatzausschlussklauseln und die Zuordnung des Versicherungsfalls zu bestimmten Leistungsarten übertragbar ist. Bis der BGH diese und andere Fragen klärt, wird die Spruchpraxis des Ombudsmanns den Versicherern eine wichtige Orientierung bieten.
Ein weiterer Schwerpunkt in der Rechtsschutzversicherung waren Beschwerden aufgrund der Weigerung des Versicherers, für die rechtliche Interessenwahrnehmung im Zusammenhang mit vom Diesel-Abgasskandal wirklich oder vermeintlich betroffenen Fahrzeugen Versicherungsschutz zu gewähren. Teilweise beriefen sich die Beschwerdeführer bei ihrem Klagevorhaben gegenüber dem Rechtsschutzversicherer auf allgemein gefasste Medienberichte, ohne dass ihre Fahrzeuge jedoch etwa von einer Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes betroffen waren. Mehrere Oberlandesgerichte hatten solche Klagen bereits zurückgewiesen, weil ihnen nur „unsubstantiierte Behauptungen ins Blaue hinein“ zugrunde lägen. Es fehle an greifbaren, auf das konkrete Fahrzeug bezogener Anhaltspunkte für das Vorhandensein manipulierender Technik. Andere erstinstanzliche Gerichte hatten indessen die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. In diesen Grenzfällen unterbreitete der Versicherungsombudsmann regelmäßig Schlichtungsvorschläge, die Deckungsschutz nach einer Quotelung vorsahen.
Die in den Beschwerdefällen aus den verschiedenen Versicherungssparten angesprochenen Themen waren vielfältig. Sie betrafen u. a. in der Rechtsschutzversicherung Risikoausschlüsse zu Kapitalanlagen, Falschberatung in der Lebensversicherung, SF-Einstufung bei Versichererwechsel in der Kfz-Haftpflicht, Leistungspflicht bei Kfz-Diebstählen in der Kaskoversicherung und das Kündigungsrecht des Versicherers nach Mahnungen bei Beitragsrückstand.
Einige interessante Beschwerdefälle griff Dr. Schluckebier heraus:
- In der Gebäudeversicherung stellte sich nach einem Wasserschaden die Frage nach der Berechtigung einer Leistungskürzung wegen Fehlens einer Rückstauklappe in der
Abwasserleitung. Der Versicherer argumentierte, dass der Versicherungsnehmer die Verordnungen von Kommunen zu beachten habe. In der Entwässerungssatzung der Gemeinde hieß es aber lediglich, gegen Rückstau des Abwassers habe sich jeder Anschlussnehmer selbst zu schützen. Nachdem der Versicherer darauf hingewiesen worden war, dass dieser Formulierung keine zwingende Verpflichtung oder konkrete Handlungsvorgabe zum Einbau einer solchen Rückstauklappe zu entnehmen sei, regulierte er den Schaden in vollem Umfang.
- Auch kuriose Fälle erreichen den Ombudsmann. So ging es einem Hausratfall darum, ob während eines Urlaubs der Versicherungsnehmerin in Bali ein Affe, der ihr die Brille entriss und zerstörte, die Leistungspflicht auslösen kann. Ein ähnliches Problem stellte sich, als ein Waschbär in ein Haus eingedrungen war, dort befindliches Hundefutter verzehrte und bei seiner Flucht eine Zwischendecke zum Einsturz brachte. Die Versicherungsnehmer forderten wegen Raub (Affe) oder Einbruchdiebstahl (Waschbär) eine Entschädigung. Da Tiere aber weder Dieb noch Räuber sein können, ließ sich lediglich in einem der Fälle eine Regulierung durch den Versicherer im Kulanzwege erreichen.
- Bei einer Riesterrenten-Versicherung hatte der Beschwerdeführer seinen Beitrag einvernehmlich von 150 auf 100 € gesenkt und nach einiger Zeit wieder auf 150 € erhöht. Darauf verlangte der Versicherer für die Erhöhung erneut Abschlusskosten. Nachdem der Ombudsmann darauf hinwies, dass für den ursprünglich höheren Beitrag bereits Abschlusskosten vereinnahmt wurden und mit der Erhöhung die ursprüngliche Beitragshöhe nicht überschritten werde, half der Versicherer der Beschwerde ab.
- In der Tierkrankenversicherung war nach der Operation der Stirn- und Nasenfalten eines Hundes der Rasse „Mops“ das Eingreifen einer Ausschlussklausel zu beurteilen. Danach waren angeborene Fehlentwicklungen und deren Folgen nicht versichert. Der Beschwerdeführer führte jedoch an, es handle sich nicht um Fehlentwicklungen, sondern um bei Möpsen typische „angezüchtete“ und gewollte Merkmale. Schließlich kam ein Vergleich zustande, aufgrund dessen der Versicherer sich hälftig an den Operationskosten beteiligte.
Abschließend noch ein Blick in das aktuelle Jahr: Trotz des allgemein schwierigen Umfelds war und ist die Schlichtungsstelle jederzeit vollständig arbeitsfähig. Die papierlose Bearbeitung wurde bereits zum 1. Februar 2020 eingeführt. Als sich die Corona-Pandemie im März abzeichnete, wurde mit Hochdruck die Umstellung auf das Arbeiten aus dem Home Office betrieben. Seit Mitte April stehen mehr als 30 PC und Laptops zur Verfügung, um den Mitarbeitern das Arbeiten von zu Hause aus und damit die Vereinbarkeit mit ihren familiären Aufgaben zu ermöglichen. Je nach persönlicher Situation, wie die alleinige Betreuung kleiner Kinder oder Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe, können an einzelnen Tagen oder für die gesamte Woche Tätigkeiten von zu Hause aus erledigt werden. Dabei wird selbstverständlich der Datenschutz strikt beachtet und auch die Erreichbarkeit der Telefonhotline ist sichergestellt. Erfreuliche Nebeneffekte der elektronischen Akte sind die interne Beschleunigung der Vorgänge und die verbesserte Auskunftsfähigkeit, da jede Akte jederzeit von allen Arbeitsplätzen verfügbar ist.
Die Corona-Pandemie hat offensichtlich (noch) keinen Einfluss auf das Beschwerdeaufkommen. Bislang gab es nur einzelne Schlichtungsanträge, mit denen die Erstattung der Versicherungsprämie nach einer Reiseabsage verfolgt wird. Ansonsten lassen weder die Anzahl der Eingaben noch deren Themen Veränderungen erkennen.
Der Jahresbericht steht zum Download auf der Website der Schlichtungsstelle bereit (www.versicherungsombudsmann.de).
Bei Fragen:
Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier / Dr. Horst Hiort
Tel: 030 / 206058-0
Fax: 030 / 206058-58
E-Mail: w.schluckebier@versicherungsombudsmann.de
h.hiort@versicherungsombudsmann.de