Der Ombudsmann für Versicherungen, Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, stellte am 16. Mai 2023 in Berlin den Jahresbericht 2022 vor. Die als selbstständiger Verein organisierte Verbraucherschlichtungsstelle behandelt seit über 20 Jahren Beschwerden aus allen Versicherungssparten, ausgenommen solche aus der Privaten Kranken- und Pflegeversicherung.
Constantin Graf von Rex, der Geschäftsführer des Vereins, teilte mit, dass im Jahr 2022 die Schlichtungsstelle insgesamt 15.907 Beschwerden erreicht hätten, wovon 11.898 zulässig gewesen seien. Gegenüber 2021 bedeute das eine Abnahme der zulässigen Beschwerden um 15,7 Prozent. Dies sei allerdings kein exklusiver Trend beim Versicherungsombudsmann, denn ein Rückgang der Beschwerdezahlen sei 2022 auch bei anderen Verbraucherschlichtungsstellen zu verzeichnen gewesen. Zugenommen haben die Beschwerdezahlen allerdings in der Kfz-Kaskoversicherung und bei den „sonstigen Versicherungen“, zu denen u. a. die Reise-, Elektronik- und Tierkrankenversicherungen zählen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer – gerechnet ab Eingang der Beschwerde – konnte weiter auf 70,1 Tage verkürzt werden. Dr. Schluckebier führte aus, es sei erfreulicherweise auch im Jahr 2022 wieder zu beobachten gewesen, dass die Versicherungsunternehmen bereit seien, Anregungen des Ombudsmanns konstruktiv aufzugreifen und im Zweifel eine schnelle Einigung im Schlichtungsverfahren einer etwaigen gerichtlichen Auseinandersetzung vorzuziehen.
In der Lebensversicherung lag erneut ein Schwerpunkt bei den Fällen des Widerrufs von Vertragserklärungen mit dem Ziel der Rückabwicklung der Verträge. Voraussetzung dafür ist ein Fehler in der Belehrung über das Widerspruchsrecht oder ein Fehlen von Pflichtinformationen. Nach der Rechtsprechung führt das dazu, dass die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt wird und das Widerspruchsrecht fortbesteht („ewiges Widerspruchsrecht“). In diesem Zusammenhang ergaben sich vor allem zwei Problemfelder. Erstens stellte sich häufig die Frage, ob es auch geringfügige, rechtlich unerhebliche Belehrungsfehler gibt, und zweitens war zumeist umstritten, unter welchen Umständen eine Verwirkung des Widerspruchsrechts angenommen werden kann. Die Versicherer beriefen sich in solchen Fällen oft darauf, dass ein Versicherungsnehmer durch sein Verhalten in vertrauensbildender Weise zu erkennen gegeben habe, an dem Vertrag festhalten zu wollen. Dies wurde beispielsweise geltend gemacht, wenn zuvor ein Versicherungsnehmer den Lebensversicherungsvertrag als Kreditsicherheit genutzt hatte. Die Rechtsprechung zu solchen mit Wertungen verbundenen Fragen ist uneinheitlich und differenziert. Eine rechtssichere Beurteilung ist deshalb in vielen Schlichtungsfällen nicht möglich. Hier kann allerdings ein Schlichtungsvorschlag unterbreitet werden, der die etwaigen Prozessrisiken gewichtet und berücksichtigt.
Weiter teilte Dr. Schluckebier mit, dass in der Lebens- und Rentenversicherung die in den jährlichen Standmitteilungen aufgeführten Kosten ebenso wie auch die prognostizierten Bewertungsreserven oft zu Irritationen bei den Beschwerdeführern geführt haben. In den Schlichtungsverfahren wurde – zum Teil unter Einschluss einer mathematischen Prüfung – abgeglichen, ob die berechneten Kosten mit den vertraglichen Regelungen in Einklang stehen. Insgesamt sei in diesem Zusammenhang feststellbar, dass das Bewusstsein der Versicherungsnehmer für die Höhe der Vertragskosten und deren Berechnung stark zugenommen habe.
Die Starkregenkatastrophe (Tief „Bernd“) im Juli 2021, so schilderte Dr. Schluckebier weiter, habe wie bereits im Jahr zuvor, so auch 2022 nicht zu einem deutlichen Anstieg von Beschwerden geführt. Insgesamt seien bis zum Jahresende 2022 lediglich ca. 150 Beschwerdeverfahren mit diesem Hintergrund festzustellen gewesen.
In der Kfz-Versicherung habe das Schadenfreiheitsklassensystem wieder für eine bemerkenswerte Anzahl an Beschwerden gesorgt. Nach wie vor sei vielen Versicherungsnehmern nicht klar, dass ein Wechsel des Versicherers zum Jahresende zu einer ungünstigeren Einstufung führen könne. Es fehle oft das Bewusstsein dafür, dass beim Vorversicherer unternehmensgebundene Sondereinstufungen und lediglich individuell wirksame Rabattschutzvereinbarungen bestanden hätten. Die „Nicht-Mitnahme“ solcher Vergünstigungen im Fall des Versichererwechsels könne mitunter gegenüber den Kunden in den Verbraucherinformationen noch deutlicher kommuniziert werden. Auch falle auf, dass die Versicherer teils unterschiedliche Schadenfreiheitsklassentabellen hätten. Das erfordere immer wieder aufwendige Erklärungen.
Für die Rechtsschutzversicherung teilte Dr. Schluckebier mit, dass nach wie vor bei der Frage der Wirksamkeit von anwaltlichen Stichentscheiden zu den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Wahrnehmung rechtlicher Interessen, für die der Rechtsschutzversicherer die Deckung versagt hat, ein Schwerpunkt liege. Beschwerdeträchtig waren u. a. auch Risikoausschlussklauseln für verschiedene Kapitalanlagegeschäfte. Deutlich zurückgegangen sind im Jahr 2022 die Beschwerden in der Folge der sogenannten Diesel-Abgasaffäre, nachdem die Rechtsprechung des BGH zentrale, bis dahin umstrittene Fragen geklärt hat.
Die Vorsitzende des Beirats des Versicherungsombudsmann e. V., Prof. Dr. Petra Pohlmann, hat dem Jahresbericht ein Grußwort vorangestellt. Sie attestiert der Schlichtungsstelle dort, als inspirierendes Vorbild für effektiven Verbraucherschutz wahrgenommen zu werden, das auf die alternative Streitbeilegung insgesamt ausstrahle.
Der Jahresbericht steht auf der Website der Schlichtungsstelle zum Download bereit (www.versicherungsombudsmann.de)
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Dr. h. c. Wilhelm Schluckebier / Constantin Graf von Rex
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